Capture One – ein Eindruck

Capture One – ein Eindruck

Adobe steht gefühlt dieses Jahr sehr intensiv unter „Beschuss“ was Lightroom angeht. Sei es, dass an der Performance gemäkelt wird, sei es die Preispolitik insbesondere des abgekündigten Boxmodells, sei es die in meinen Augen unglückliche Umbenennung von Lightroom in Lightroom Classic. Zeit selbst für Gewohnheitstiere wie mich einmal einen Blick über den Tellerrand zu werfen, genauer auf Capture One 10 Pro aus dem Hause Phase One.

Seit Adobe im Oktober ein neues Majorupdate für Lightroom auf dem Markt gebracht hat, bin ich kein uneingeschränkter „Fan“ des Hauses. Wofür, und das möchte ich hier klar verstanden wissen, das Produkt selbst nichts kann. Lightroom (und ich rede ich grundsätzlich immer von der Desktopvariante!) hat unter der Haube deutliche Verbesserungen erfahren, die Performance im Entwicklungsmodul hat sich gesteigert. Ich halte Lightroom nach wie vor für ein gutes Produkt und ich arbeite gern damit.

Dennoch hat mich die Art und Weise wie sich Adobe im Rahmen des Updates verhalten hat, zum Grübeln gebracht. Ich habe mir die Frage gestellt, wie abhängig bin ich von Adobe, welche Konsequenzen hätte es, wenn ich mein Abo kündigen würde? Aus dem Adobe Abo-Programm habe ich das Fotografenmodul gebucht, also Lightroom zusammen mit Photoshop. Photoshop sehe ich für mich als unkritischen Posten an. Ich benutze es relativ selten. Hier könnte ich notfalls auf ein CS6 zurückgreifen, welches in meinem Schrank steht, das würde mir reichen.

Was ist mit meinen Bilder?

Was aber ist mit Lightroom? Bedeutet eine Abokündigung, dass meine Bilderbibliothek für mich unerreichbar ist? Das wäre ein herber Schlag – um es mal gaaaaanz vorsichtig auszudrücken. Eine Recherche ergab Entwarnung. Tante Google wusste nämlich zu berichten, dass mit der Kündigung des Abonnements im Wesentlichen nur das Entwickeln-Modul stillgelegt wird. Mit der Bibliothek kann ich nach wie vor arbeiten, Bilder auch mit den bestehenden Entwicklungseinstellungen exportieren, sogar der Bildimport ist noch aktiv. An dieser Stelle also Entwarnung und Zeit, sich mal das Produkt anzuschauen, das in den letzten Monaten am häufigsten neben Lightroom in meiner Timeline aufgetaucht ist: Capture One.

Von Capture One gibt es eine 30 Tage Testversion, die auf meinem Mac gelandet ist. Was für mich sehr interessant ist, um gleich mal zu Preisen zu kommen: wer nur Sony-Raws entwickelt, für den gibt es eine günstige (Rund 60 Euro inkl. MwSt.)Version die den vollen Funktionsumfang beinhaltet (also nicht die Express-Version), aber eben nur mit Sony-Raws klarkommt. Ich muss gestehen, damit könnte ich leben. Aber wie fühlt sich C1 denn so an?

Um ein bisschen Gefühl zu bekommen habe ich aus Lightroom einen Katalogexport meiner Sonybilder aus diesem Jahr gemacht. Man darf nicht erwarten, dass alle Anpassungen mit übernommen werden können, dafür ticken die beiden Raw-Konverter zu unterschiedlich. Aber grundlegende Dinge wie Belichtung, Weißabgleich, Schärfe, Bewertung, Farbmarkierung, Schlüsselworte und noch ein paar Kleinigkeiten werden übernommen. Man muss sich aber darüber im klaren sein, Bilder aus einem importieren Katalog sehen in C1 schlicht anders aus. Aktuell habe ich auch ein Problem mit in LR generierten DNGs, mit denen C1 nicht klar kommt. Das betrifft vornehmlich in LR erstellte HDRs und Panoramen.

Performance: Das wollen ja alle immer gerne wissen. C1 fühlt sich schnell an, auch beim Durchschollen durch die Bilder. Ob das in meinem Fall aber repräsentativ ist mag ich nicht zu beantworten. Mein Lightroom muss mit einer Bilderanzahl im Sechstelligen Bereich klar kommen, ich habe C1 nur mit ein paar tausend Bilder „gefüttert“. Von daher könnte sich das Ganze halt auch ändern, wenn hier ebenfalls solche Datenmengen zu bewältigen sind.

Das Benutzerinterface ist natürlich sehr anders. Bei LR hat man die Philosophie eine klare Trennung zwischen Bibliothek und Entwicklung zu machen. Bei Capture One sieht das etwas anders aus, hier ist die Bibliothek schlicht ein Werkzeug wie alle anderen auch. Mit der Bildverwaltung habe ich mich offen gestanden noch nicht so richtig auseinander gesetzt. Was ich aber auf den ersten Blick gesehen habe findet sich einiges wieder was man aus LR kennt und ich denke, sich hier umzustellen ist kein großer Aufwand. Mein importierter Katalog sagt mir, wer möchte kann sich in C1 genauso weiter organisieren wie das in LR der Fall ist. Aber Achtung, kleine Falle bei der Übernahme eines LR-Kataloges: Smartsammlungen werden nicht übernommen! Auch wenn C1 grundsätzlich solche Sammlungen beherrscht und anbietet scheint der Mechanismus der Filter so unterschiedlich zu sein, dass hier vor der Katalogübernahme Smartsammlungen in normale Sammlungen umgewandelt werden müssen.

Katalogübernahme oder nicht?

Ich habe mir in den letzten Tagen nicht nur einfach C1 angeschaut, sondern auf YouTube auch manches Video dazu. Wenn man denn einen Umstieg erwägt wäre es vielleicht eine Möglichkeit, bei 0 anzufangen. Wie oben erwähnt besteht rein technisch keine Notwendigkeit nach der Abo-Kündigung LR von der Platte zu fegen. Man hat seine Bilder also noch im Zugriff. Ja, mir ist auch klar, dass es bedingt durch keine Updates irgendwann von Betriebssystemseite her an dieser Stelle ein Problem gibt. Vor einem Updates des Betriebssystems ist es eh ratsam erst einmal zu schauen, ob die Produktionssoftware die man im Einsatz hat entsprechend kompatibel ist und das Update ggf. nach hinten zu schieben. So man es denn kann, unter Windows ist das ja nicht ganz so trivial. Um einen grundsätzlichen Zugriff sicherzustellen könnte man natürlich hingehen und für den „Altbestand“ einen eigenen Katalog in C1 anzulegen, wo man den LR-Katalog hinein importiert. So wäre man zumindest auf der sicheren Seite.

Zurück zu C1. Wie gesagt, die Philosophie der Benutzeroberfläche ist im Hause Phase One eine andere. Finde ich bei LR alle Werkzeuge zusammengefasst auf der Entwicklungsseite und klicke mich dann quasi modulweise durch, so gibt es in Capture One eine Werkzeugmodulleiste (in der eben auch die Bibliothek verankert ist) wo die Werkzeuge in Gruppen zusammen gefasst sind. Beispielsweise im Modul Farbe finden sich Dinge wie Kameraprofil, Weißabgleich, Farbbalance, Farbeditor und Schwarz-weiß. Und so gibt es eben Register für Belichtung, Objektivkorrektur, Lokale Anpassungen etc. Bedeutet: der Workflow ändert sich dadurch zwangsweise. Oder doch nicht? C1 ist an dieser Stelle sehr flexibel. Diese Register und Werkzeuge lassen sich nach eigenem Gusto anpassen. Von daher kann man sich zumindest in Teilen wieder einen Workflow zusammenbauen wie man ihn von LR her gewohnt ist. Das gilt auch für Tastaturkürzel. Hier kann man sich ein komplett eigenes Set anlegen.

Der spannende Part ist aber für das Fotovolk die Bildentwicklung. Hier ist mein erster Eindruck gespalten. Es gibt Dinge, die kann C1 besser, es gibt aber eben auch Dinge die gibt es in C1 gar nicht oder sind schlechter gelöst. Was mir in Lightroom immer wieder mal passiert ist z.B. wenn ich über den HSL-Regler den Himmel dunkler ziehe, dass sich irgendwann Artefakte zeigen. In C1 habe ich dies nicht provozieren können. In den lokalen Anpassungen vermisse ich dafür meinen Radialfilter, eine präzisere Automaskierung und der Verlaufsfilter lässt sich in Lightroom auch deutlich besser handhaben als in C1. Denn dort fehlt mir die Möglichkeit einen gesetzten Verlaufsfilter nachträglich fein zu justieren. Was in C1 halt sehr stark ist, ist die Möglichkeit Masken über Farben zu setzen. Auch die Regelbarkeit der Farben ist anders gelöst, finde ich sehr spannend. Brauche ich aber nicht unbedingt. Was ich aber sehr interessant finde ist, dass C1 bei der Objektivkorrektur die Beugungsunschärfe herausbrechen kann. So werden auch Blenden um die f/32 wieder sinnvoll – vorausgesetzt der Sensor ist sauber ;-). Das würde ich mir sehr für Lightroom wünschen. Noch ein Wort zur Performance: Mir ist aufgefallen, dass Capture One trotz eines deutlich kleineren Kataloges den es zu verwalten hat, deutlich länger zum Starten benötigt. Möglicherweise lädt C1 beim Starten deutlich mehr Programmteile. Denn wenn ich mir den Speicherverbrauch anschaue dann ist C1 deutlich hungriger als LR.

Unterm Strich haben beide Programme ihre Stärken und Schwächen. Ich denke aber, das Adobe inzwischen begriffen hat, dass der Vorsprung den sie mal hatten (unter anderem auch weil Apple sich ja strikt geweigert hat sein Aperture auf Windows zu portieren), geschrumpft ist und man im Hause Adobe ein paar Briketts nachlegen wird. Wer wie ich lange Zeit mit Lightroom gearbeitet hat, von dem wird an der einen oder anderen Stelle ein Umdenken erwartet. Wer viel mit Presets gearbeitet hat, der wird einiges an Arbeit investieren müssen, um in C1 einen identischen Look zu kreieren. Ob der Workflow in dem einen oder anderen Programm schneller ist, das vermag ich aktuell nicht zu sagen. Ich glaube, wenn man sich in die Programme eingearbeitet hat nimmt sich das in Wirklichkeit nichts.

Inzwischen gibt es ein erstes Bild welches ich in Capture One neu entwickelt und veröffentlicht habe:

Die Geschichte zu dem Foto gibt es übrigens in meinem privaten Fotoblog.

Wie geht es jetzt weiter? An sich habe ich schon entschieden, dass ich mir zumindest die Sony-Version von C1 zulegen werde. Alles weitere wird sich dann zeigen. Zumal es eben doch Unterschiede zwischen den beiden Raw-Entwicklern gibt. Das habe ich insbesondere bei der Ausarbeitung des vorstehenden Bildes gemerkt. Diese Version ist als erstes in C1 entstanden um dann in Lightroom nach gebaut zu werden. Das war schon sehr interessant, dazu gibt es aber einen eigenen Blogbeitrag. 🙂

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert